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Tupac Amaru Shakur - Presse über ihn
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Gangsters Paradies
Der Rapper Tupac Shakur wurde vor zehn Jahren unter nie geklärten Umständen ermordet. Und zur Unsterblichkeit verdammt. Sein Nachlass scheint unerschöpflich.
Die meisten früh verstorbenen Popstars dürfen bei den Toten ruhen. Jahrestage dienen dem Gedenken, ihre Lieder werden renoviert und noch einmal zum Wohl der Hinterbliebenen verkauft, an Gräbern tauchen merkwürdige Gaben und Graffiti auf. Nur Elvis wird gelegentlich gesichtet. Und seit nun genau zehn Jahren auch der Geist des Rappers Tupac. Zeugen haben ihn bereits in Miami als Wachtmeister erkannt, als Hilfskraft bei McDonald's in Ohio und als Gottesdiener einer ländlichen Gemeinde Louisianas. Manchem HipHop-Gläubigen erscheint nur so die ungebrochene Produktivität des toten Stars plausibel. Der zur ewigen Wanderschaft Verdammte liefert regelmäßig Alben ab. Zuletzt das elfte nach dem 13. September 1996, ungeachtet der verwirrenden Fülle von Zusammenstellungen und Soundtracks. Vorher brachte Tupac fünf CDs heraus und erlebte 13 Millionen Verkäufe. Posthum schon das Fünffache.
Am 7. September 1996 prügelte Mike Tyson in Las Vegas einen weiteren Gegner aus dem Ring. Sein Lieferant der Hymne "Wrote the Glory", Tupac Amaru Shakur, verließ zufrieden die Veranstaltung, geriet in eine Prügelei mit dem New Yorker Kleingangster Orlando Anderson und stieg in einen BMW. Den Wagen steuerte Suge Knight, sein mafiöser Manager und Chef der Plattenfirma Death Row. An der Ampelkreuzung East Flamingo/Koval Lane gesellte sich ein Cadillac hinzu. Drei Schüsse trafen Tupac, einer streifte Knight. Am folgenden Freitag, einem 13., verstarb die Leitfigur der prägenden Musik der neunziger Jahre. Mitten im Jahrzehnt, an dessen Ende noch der rüdeste und radikalste Rap im Mainstream mündete, als Lauryn Hill und Eminem zu Grammy-Göttern wuchsen.
Nüchternen Gemütern tritt der tote Tupac allenfalls als Wachsfigur entgegen. In Las Vegas bei Madame Tussaud. Umringt von grundverschiedenen Zeitzeugen der schwarzen Popkultur: der anerkannte Tote Jimi Hendrix, ein bedauernswerter Michael Jackson, ein zur Frömmigkeit bekehrter Prince sowie der unerschütterliche Stevie Wonder. Tupac ist erstarrt zur interessanten Pose des bedrohlichen Gebets. Er trägt dazu ein Trümmerfrauen-Kopftuch, bis zum Bund des Markenschlüpfers nichts als Ketten, Tätowierungen und Narben und die übliche, für seine zierliche Erscheinung viel zu weite Hose. Eine wächserne Skulptur von Sanftmut und Gewalt, fataler Straßenschläue und verblüffender Weisheit.
Tupac kam in Brooklyn als Lesane Parish Crooks zur Welt. Nur wenige Tage, nachdem seine Mutter Afeni sich selbst verteidigt hatte gegen eine Attentatsanklage. Sie sympathisierte mit den Schwarzen Panthern. 1986 wurde Mutulu Shakur, der Stiefvater, zu 60 Jahren wegen eines Überfalls verurteilt. Die Familie zog nach Baltimore, wo Tupac mit Begeisterung die Kunstschule besuchte. 1988 nahm die drogensüchtige Mutter ihren damals 17-jährigen Sohn nach Kalifornien mit, nach Oakland. Hier geriet der Schulabbrecher unter Zuhälter und Drogenhändler aber auch ins musische Milieu, zum Zirkel Digital Underground. Zwischen den Kraftfeldern gelang nicht nur die glaubhafte Verkörperung des Gangsters, sondern auch seine ästhetische Bewältigung.
So widersprechen sich noch 15 Jahre nach seinem Debüt "2pacalypse Now" die Lesarten des Lebenswerks. Dem Reduzieren auf gewaltverherrlichende, frauenfeindliche und großmäulige Sprechgesänge steht eine schwer fassbare Verehrung gegenüber. Eine religiös anmutende Erlösungssehnsucht, die sich häufig auf besprühten Mauern widerspiegelt. Tupac finanzierte Sorgentelefone. So verbarg sich hinter der Maxime "Thug Life", Gangsterdasein, das bewegte Akronym "The Hate U Gave Little Infants Fucks Everybody". Wer bei kleinen Kindern Hass sät, schade der Gesellschaft. Tupac machte rappend das System verantwortlich, wenn Kinder Drogen nahmen, stahlen, mordeten und schwanger wurden. Manchmal trat er auf unter dem Namen Makaveli. Als Machiavelli des Rassen- und Klassenkampfs, vertrauenswürdiger Moralapostel und seit 1996 auch als Märtyrer.
Der Mord wurde nie aufgeklärt. Die popgerechte Theorie: Der Künstler mit dem revolutionären Inka-Namen fiel als Opfer des Ost-West-Konflikts. Schon 1994 wurde Tupac in New York bei einem Sängertreffen angeschossen. Damals spielte auch der Konkurrent Notorious B.I.G. eine nie näher untersuchte Rolle. Er stand 1996 unter Mordverdacht und wurde 1997 seinerseits erschossen. Der geschürte Konkurrenzkampf zwischen Ost- und Westküste gilt unter Eingeweihten allerdings als harmloses PR-Gefecht wie zwischen Rolling Stones und Beatles. Eine zweite Theorie beschuldigt Tupacs Manager: Suge Knight hatte ihn 1994 vor der Haft bewahrt, ihm Alben abgepresst und vom perfekten Marketing geträumt, vom Mythos. Auch der Hauptverdächtige Orlando Anderson, den Tupac nach dem Boxkampf niederschlug, wurde erschossen. Übertrieben eifrig gingen die Ermittler nie zu Werke.
Es sind die Geheimnisse, die Tupac für die Ewigkeit umwehen werden, seine Heldenrolle, die er nun für immer ausfüllt und die Aufnahmen, die er in seiner Todesahnung hinterlassen hat. 200 Stücke, das reicht noch 5 Jahre. Elvis hat die weiße Mittelschicht befreit, nun geht er als Legende oder komisch kostümierter Doppelgänger um. Die schwarze Unterschicht vergöttert Tupac. Aus globaler Solidarität bevölkern seine Klone sämtliche Problemviertel der Welt.
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